Musik

Schade  

Warum wohl das Alphorn aus der Dole wächst in dem ganzen Verkehr?

Jetzt regnet es auch noch.
Siehst du mich?
Die Strassenbahn hat keine Lust mehr auf Schiene.
Das Wetter tritt über die Ufer.
Ein Vogel zu sein, über alles zu fliegen mit trockenen Krallen –
Schade:
wenn ich so an mir herunterschaue, sehe ich keine einzige Feder,
fasse mit der rechten Hand den linken Oberarm,
mit der linken Hand den rechten Oberarm,
gegen den Strom von Menschen die entgegen kommen,
mir folgen,
die Autos fahren vor meiner Fussspitze vorbei,
die Fahrräder berühren meine Ferse.
Siehst du mich?
Schön wäre es, ein Vogel zu sein:
keine Berührung.
Das Kind dort hat mich gesehen.
Meine Augen sind jetzt ein Teil seines Lebens, den es nicht erinnern wird.
Berührung nur mit den Augen:
das ist ein Vogeldasein – schade.
Wie Regen zu fallen mit diesem schönen Geräusch.
Jedes Augenzwinkern ein Vogelschrei.
Siehst du mich?
Warum wohl das Alphorn aus der Dole wächst?
Ein Leben als Tannenzapfen
auch nicht schlecht
so hoch oben,
der gute Geruch bis er fällt –
auch er.

© Michèle M. Salmony Di Stefano, 2012

srf.ch

Ein Gang durch die Stadt

G. hat Stadtgeräusche gesammelt und diese mit anderen Aufnahmen (vorbestehendes Stimmmaterial von M und Aufnahmen von verschiedenen Instrumenten, die G. gespielt hat) zusammen verarbeitet. M. hat sich diese Komposition angehört, dazu einen Text geschrieben und ihn gesprochen. G. hat den Text in die Komposition eingearbeitet und diese nochmals als ganzes überarbeitet. Entstanden ist: Schade


Knistern wie ein Blitz – 7 Juni 2011    

Warum – Immer – Andere –
Mich – Bleib – Ach so –
Nein – Bitte – Du –
nur – Möchte

Immer nur Wörter! Nichts als Wörter
Ich kann sagen: Bleib!
Du kannst sagen. Nein.
Und wenn ich frage:
Warum nicht mich?
Kannst du sagen –

Knistern, wie ein Blitz, das möchte ich.
Oder Rauschen, wie ein Regen
auf das Blätterdach der Esche vor dem Haus. –
Darauf würde keiner mit einem „Nein“
antworten oder mit „Eine Andere“.
Könnte sich nicht meiner Bitte entziehen,
wenn meine Stimme rollte wie zwanzig Murmeln
auf dem Asphalt. –
Würde zuhören und eintauchen
in mein Geräusch.
Aber: Ich kann immer nur Wörter sagen –
Und du –
Zu knarren wie ein alter Holzhast, bevor er wegbricht,
das würdest du vielleicht verstehen.
Oder, wenn meine Stimme klopfte
wie Kieselsteine an eine Fensterscheibe.
Aber: Ich kann immer nur Wörter sagen.
Und du kannst sagen: Nein.
Mir bleibt dann nur noch ein:
Ach so –
wie der letzte müde Aufschlag
eines Ping-Pong-Balls.

© Michèle M. Salmony Di Stefano, 2013

Zwischen Komposition und Improvisation: Klangrhythmische Performance für Computer (Live-Electronic) und Stimme.

Wörter und Geräusche.
Was würde passieren, wenn uns nicht nur Worte, sondern auch Klänge und Geräusche für unsere Kommunikation zur Verfügung stünden? Wenn wir unsere Emotionen zum Beispiel mit dem Knistern des Blitzes ausdrücken könnten?
Manchmal genügt die Sprache für die gefühlten Emotionen nicht, oder die Bedeutung der Worte wird dem gemeinten Inhalt nicht gerecht: Wörter können so wirkungslos sein wie eine defekte Maschine; es hinge dann vielleicht nicht von unserer Sprachbegabung ab, dass der andere Mensch uns nicht versteht, sondern an der zu grossen Distanz zwischen dem Wort und unserem Gefühl.
Wenn wir Wörter erfinden oder sie in Klänge zerlegen könnten oder wenn sich die Klänge der Wörter mit Geräuschen ersetzen liessen, wäre es uns vielleicht möglich, unseren Schmerz und unsere Freud adäquater auszudrücken.
Die Metapher und die Dichtung suchen die Lösung dieses Dilemmas in der ungewöhnlichen Verbindung von Worten und Gefühlen.

Klang und Geräusch.
Als Geräusch kann ein akustisches Phänomen bezeichnet werden, welches entweder aus einem oder mehreren unangenehmen und unerwünschten Tönen besteht oder aus Tönen, welche wir als angenehm empfinden, in denen wir aber keine Logik von Regeln oder einen Willen erkennen; kurz: die keine Botschaft enthalten. Das Geräusch also ist irrational und chaotisch.
Ob ein Geräusch als angenehm gilt, hängt vom subjektiven Empfinden, vom historischen Moment und vom kulturellen Raum ab.
Der bewusste Einsatz von Geräuschen wurde theoretisch breit abgehandelt und hat in der Musik eine lange Geschichte, die vom Futuristen Luigi Russolo über Edgar Varèse, Pierre Schaeffer, John Cage und viele andere bis in die zeitgenössische Musik reicht. Diese Musiker setzen Geräusche und Klänge in Beziehung und definieren diese als akustische Vibrationen, welche es beide verdienen, untersucht und gebraucht zu werden.

Eine Aufgabe der Kunst kann es sein, für unsere Wahrnehmung von Realität neue Möglichkeiten zu schaffen. (GDS)     

video


Ritmi e strutture  

(Verloren)
Wo sind denn alle die Häuser?

Mein Garten? Da fährt jetzt eine Strassenbahn hindurch.

Und dort in dieser Ecke, wo mein Haus – mit all den Büchern –
hält jetzt ein junger Mann lauthals Tomaten feil.

Mir scheint, wie wenn das gestern – frage mich,
ob Stunden, Tage, Jahre mir als Mass noch etwas taugen –

© Michèle M. Salmony Di Stefano, 2013

Die Komposition für Stimme, Objekte, verschiedene Instrumente und Live‐Electronic entstand zur Ausstellung „Rhythmus und Struktur“, in der Giovanni Di Stefano Bilder und Michèle M. Salmony Di Stefano Fotografien zu diesem Thema zeigten. In der Komposition geht es vor allem um Rhythmen und Rhythmisierung von Tönen. Die Grundstruktur ist aus Alltagsgeräuschen geflochten. Der Klang von Objekten und Instrumente wurde live hinzugefügt und live bearbeitet. Es entstanden flexible  Strukturen. Durch die gesamte Komposition führt uns der Rhythmus von Schritten, die G auf einem Spaziergang mit M aufgenommen hatte.